Ein Beitrag zur aktuellen Debatte
Die Frage, wie wir Kinder in ihrer Geschlechtsidentität begleiten und ihnen Raum für individuelle Entwicklungen bieten können, ist in der frühkindlichen Bildung aktueller denn je. Immer mehr Kitas und pädagogische Fachkräfte setzen sich dafür ein, ein Umfeld zu schaffen, in dem Kinder jenseits von starren Geschlechterrollen aufwachsen und ihre persönlichen Stärken unabhängig von gesellschaftlichen Erwartungen entfalten können.
Gendersensible Pädagogik bedeutet, Kindern nicht vorzugeben, wer oder was sie sein sollen, sondern ihnen die Freiheit zu lassen, ihre individuellen Fähigkeiten auszubilden und ihre eigene Identität zu entdecken und auszudrücken unabhängig von ihrem biologisch zugewiesenen Geschlecht. Gleichzeitig ist dies ein Thema, das auch kontrovers diskutiert wird. Kritische Stimmen äußern Bedenken, dass eine bewusste Förderung der Gendersensibilität Kinder verwirren oder ihnen Rollenbilder aufdrängen könnte, die sie nicht verstehen. Diese Vorbehalte spiegeln oft tiefergehende gesellschaftliche Debatten über Geschlecht, Identität und Erziehung wider.
Gendersensible Pädagogik wird dabei manchmal missverstanden. In den wildesten Fantasien mancher Kritiker*innen geht es darum, Kindern Bilder von schillernden Persönlichkeiten überzustülpen und sie damit zu verwirren. In der pädagogischen Praxis ist gendersensible Erziehung weit weniger spektakulär, aber umso bedeutsamer: Es geht darum, das binäre Geschlechtersystem zu öffnen, weil sich nicht alle Menschen mit den damit verbundenen Rollenvorstellungen von "Mann" und "Frau" von "Junge" und "Mädchen" identifizieren können. Bei Kinder, die diesen Stereotypen nicht entsprechen, kann das Gefühl aufkommen, dass etwas nicht mit ihnen stimmt. Genau hier setzt gendersensible Erziehung an, indem sie diese starren Vorstellungen von Geschlecht hinterfragt und den Raum öffnet, in dem sich Kinder individuell und frei entfalten können.
In der Praxis geht es darum, das Bild von Mädchen*, die immer hübsch gekleidet, brav und sensibel sind und Jungs*, die immer stark, wild und cool sind und dazu auch nicht weinen, aufzulösen. Dies erfordert nicht nur eine offene Haltung der Fachkräfte, sondern auch eine bewusste Gestaltung des pädagogischen Alltags, in dem Klischees und Stereotype bewusst hinterfragt werden und Kinder dazu ermutigt werden unabhängig von ihrem Geschlecht zu toben, basteln oder ihr handwerkliches Geschick auszubilden. Dabei spielt das Spielmaterial in dem z.B. Frauen* in Handwerksberufen, alleinerziehernde Väter, Regenbogenfamilien oder ein Junge im Rock repräsentiert sind genauso eine Rolle wie Sprache, Kleidung oder die Art und Weise, wie Erwachsene mit Kindern kommunizieren. Sätze wie „Ich brauche mal drei starke Jungs, die mir helfen, den Tisch zu tragen“ lassen sich gendersensibel formulieren, indem man stattdessen nach drei starken Kindern fragt, die helfen möchten den Tisch zu tragen.
Die Bildungspläne vieler Bundesländer berücksichtigen bereits Ansätze gendersensibler Pädagogik, um Kindern einen geschützten Raum zu bieten, in dem sie sich frei entwickeln können. Ziel ist es, Kindern die gleichen Chancen und Möglichkeiten zu geben, unabhängig davon, welches Geschlecht sie haben oder wie sie sich identifizieren. Gendersensible Erziehung wird somit als wesentlicher Teil einer zeitgemäßen, inklusiven Bildung verstanden und ist Teil der Sexuellen Bildung im Elementarbereich.
Doch was genau bedeutet Sexuelle Bildung und warum ist sie bereits in der Kita wichtig? Was ist unter einer altersangemessenen Sexualerziehung in der Kita zu verstehen und warum hat sie nichts mit einer "Frühsexualisierung" zu tun? Diese und weitere Fragen wurden in einem Interview mit dem MDR thematisiert, in dem ich die Möglichkeit hatte, auf diese Themen einzugehen. Der Artikel beleuchtet unter anderem, wieso Sexualerziehung ein wichtiger Teil der Prävention von sexualisierter Gewalt ist und wie Sexualerziehung in der Kita umgesetzt werden kann.
Winkler, Elisabeth (MDR AKTUELL 23. September 2024): Aufklärung in der Kita.
" (...) Sexualpädagogin Laura Grün, Gründerin des Instituts für Sexuelle Bildung, sagt dazu: "Klischees und Kategorien geben eine Art von Sicherheit, weil es einfacher ist, sich einzuordnen. Wir alle haben auch ein Bedürfnis nach Gruppenzugehörigkeit und Orientierung. Aber wenn man nicht in diese Kategorisierung reinpasst, verunsichert das eben auch."
Der WHO zufolge bilden Kinder ihre Geschlechtsidentität mit etwa zwei Jahren. Grün erklärt, dass sie dann beginnen die biologischen Geschlechter, also männlich und weiblich, zu unterscheiden und sich diesen selbst zuordnen können.
Grün sagt, sobald die Kinder merkten, dass Jungen und Mädchen verschiedene Eigenschaften zugeordnet würden, würden sie überprüfen, ob sie in diese Kategorisierung passen. "Wenn ja, ist das für die Kinder einfach, aber wenn nicht, führt das zu dem Gefühl, mit ihnen stimme etwas nicht."
Sexualpädagogik in der Kita - was ist das eigentlich?
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Aber inwiefern spielt Sexualität in der Kita überhaupt eine Rolle? Laura Grün sagt, in der kindlichen Sexualerziehung gehe es schlicht darum, auf kindgerechte und altersangemessene Weise mit Kindern über den Körper, das Thema Gefühle und ihre Grenzen zu sprechen.
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Warum frühkindliche Sexualpädagogik Missbrauch verhindert
So sollten Kinder zum Beispiel Begriffe für ihre Genitalien lernen, erklärt Laura Grün. Synonyme wie Pullermann oder Schneckchen seien dabei überhaupt nicht notwendig. "Das einzige, was Kinder daraus lernen, ist 'Ah, das ist etwas, worüber keiner so richtig sprechen will'".
Es geht darum, dass die Kinder ihren Körper als etwas Schützenswertes, als etwas Positives begreifen.
Laura Grün | Sexualpädagogin
"Eine tabuisierte Atmosphäre um dieses Thema aufzubauen, begünstigt letztendlich nur Missbrauch", sagt Grün. Stattdessen sollte man Kinder sprachfähig machen und dabei unterstützen, ihrem Gefühl zu trauen, für ihre Grenzen einzustehen und Stopp zu sagen. "Es geht darum, dass die Kinder ihren Körper als etwas Schützenswertes, als etwas Positives begreifen und lernen sich Hilfe zu holen, wenn sie ein komisches Gefühl haben."
Grün stellt gleichzeitig klar, dass das Thema Sexualität nichts sei, was von Erzieherinnen gezielt angesprochen würde. Es sei vielmehr so, dass sich durch kindliche Neugier ganz natürlich Fragen ergäben. "Und unsere Aufgabe ist dann, diese kindgerecht zu beantworten."
Eltern rät die Sexualpädagogin als gutes Vorbild voranzugehen. "Sie können zum Beispiel über Grenzen sprechen, indem sie ihre eigenen Grenzen klarmachen." Beispielsweise fassten kleine Kinder ihren Müttern viel an die Brust, das sei noch ein Reflex aus der Stillzeit.
"Es kann sein, dass man als Mutter irgendwann merkt, 'Hm mittlerweile ist mir das unangenehm.' Und dann kann man auch kommunizieren, dass man vorher gefragt werden möchte, bevor das Kind dorthin fasst." Der nächste Schritt sei dann seinem Kind zu erklären: "Und du darfst genauso über deinen Körper bestimmen. Und das müssen andere dann auch respektieren."
Winkler, Elisabeth (MDR AKTUELL 23. September 2024): Aufklärung in der Kita. Den gesamten Artikel finden Sie hier: URL https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/gesellschaft/kita-kinder-sexualpaedagogik-geschlechter-rollen-bildungsplan-sachsen-anhalt-thueringen-100.html(25.09.2024)
Das Thema ist komplex und fachlich in einem Artikel nicht umfänglich zu klären. Wir vom Institut für Sexuelle Bildung bieten Fortbildungen an, die Fachkräfte darin unterstützen, sexualpädagogische Konzepte mit gendersensiblem Ansatz in ihrer pädagogischen Praxis zu verankern. Dabei legen wir großen Wert darauf, sowohl theoretische Grundlagen als auch praktische Umsetzungsmöglichkeiten zu vermitteln. Einen wichtigen Teil stellt dabei immer auch die Reflexion von und die Auseinandersetzung mit verinnerlichten Werten und Norm dar um in der pädagogischen Praxis reflektiert agieren zu können.
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